Die Initiative "die plattform" hat am 25. Juli 2019 auf die Krtitik von Frederik Fuß in der Broschüre Syndikalismus oder Plattformismus geantwortet. Wir dokumentieren an dieser Stelle die Antwort, welche erst auf der Seite der Initiative erscheienen ist.
Syndikalismus oder Plattformismus? Syndikalismus UND Plattformismus! – eine Entgegnung
Kritik ist ein Geschenk. Üblicherweise ist aber
gerade dieses spezielle Präsent ein wenig lieblos verpackt, weswegen es dann
auch so ungern entgegengenommen wird. Auch eine neuere, ziemlich polemische
Auseinandersetzung mit unserem Text „Über dieBedingungen, unter denen wir kämpfen“ fällt in diese Kategorie: die
Broschüre „Syndikalismusoder Plattformismus“, bei Syndikat-A erschienen als Auskopplung der
Zeitschrift tsveyfl.
Beim Autor Frederik Fuß
ist eine heftige Bitterkeit angesichts des Zustands der anarchistischen
Bewegung zu erkennen. Schon der Begriff „Bewegung“ ist ihm zuviel des Guten.
Dieser Frust hat durchaus relevante Gründe – bezüglich der dahingehenden Kritik
in unserem Text scheint Konsens zu bestehen. Wir zweifeln nur leicht daran,
dass er auf diese Weise Erfolg damit haben wird auch etwas an ihnen zu drehen.
Was uns angeht, sind wir trotzdem dankbar für
den Input. Wir brauchen keine Harmonie und keinen (organisationsübergreifenden)
Konsens in allen Fragen. Was kümmert uns schon die Verpackung… ist geschenkt.
Sehen wir darüber hinweg, finden sich durchaus
einige bedenkenswerte Punkte, die dabei helfen können unsere Positionen
inhaltlich besser zu beschreiben. Wie der Autor ja auch selbst anmerkt, war es
nie unser Anspruch mit diesem ersten Text eine umfassende Welterklärung zu
liefern – sondern eine Diskussionsgrundlage.
Mit Recht wird also auf einige Leerstellen in
unserem Text hingewiesen: Etwa die bisher nicht ausformulierte Positionierung
zum Antisemitismus – der nicht nur in Bezug zum Rechtsruck Erwähnung finden
sollte. Solche Leerstellen gibt es im Text sogar noch einige mehr, die in Fuß
Kritik nicht erwähnt werden. Das ist uns auch bewusst. Wir werden auch noch zu
anderen, im Text zu kurz kommenden oder nicht erwähnten Unterdrückungs- und
Herrschaftsverhältnissen klar Position beziehen.
Wie der gelungene Absatz über die Stärken des
Plattformismus unterstreicht »ermöglicht der kollektive Prozess der Aushandlung
der Begriffe den Einzelnen erst, die eigenen Gedanken und Vorstellung von und
über die Welt in eine fruchtbare Beziehung zu denen anderer zu setzen, Dissens
kann ausgetragen werden und muss nicht … unterdrückt werden.« Diesen
Prozess haben wir bereits mit Erfolg begonnen, wie sowohl die Vielzahl
positiver aber auch die negativen Reaktionen auf unseren Text zeigen.
Unterstellungen wie die, wir würden
Kapitalismus oder Patriarchat als rein interpersonelle Herrschaftsverhältnisse
begreifen, zeigen uns zumindest, dass wir diese Punkte und Zusammenhänge
nochmal sorgfältiger und klarer formulieren sowie ausbauen müssen. Mit etwas
Wohlwollen wäre eine andere Sichtweise aber durchaus auch aus unserem Text
ableitbar gewesen: Mit den Sätzen »Im Zentrum der kapitalistischen
Funktionsweise stehen also nicht die Bedürfnisse der Menschen, sondern das
Erzielen von (möglichst hohem) Profit und Kapitalverwertung« und »Das
Patriarchat ist das weltweit vorherrschende System der Unterdrückung und
Ausbeutung von Frauen« sollte klar werden, dass es uns nicht um verkürzte und
personalisierte Herrschaftsverhältnisse geht.
Der Aussage, Geschlecht sei nicht sozial (also
gesellschaftlich) konstruiert, sondern es sei »vielmehr...ein
gesellschaftlicher Prozess, der Geschlecht erzeugt und durchsetzt«, stehen wir
dann doch etwas rätselnd gegenüber. Aber natürlich gibt es auch materielle
Grundlagen und emotionale, institutionelle und körperliche Einflüsse bezüglich
„ideologischer Zurichtung«, keine Frage. Wir haben den Eindruck, diese in
unserem Text auch zumindest teilweise durchaus anzusprechen. Aber auch hier
gilt, das geht alles sicher noch klarer.
Es gibt auch bestätigende Passagen – etwa die
Kritik an manchen gegenwärtigen (wenn auch von Fuß überzeichneten)
Entwicklungen in der FAU, auf die unser Text in der Tat Antworten liefert:
Etwa der Bezug auf einen klaren, anarchistischen Standpunkt bei der
alltäglichen Gewerkschaftsarbeit oder der Vorschlag einer überregionalen Awareness-Struktur.
Dazu muss auch gesagt werden: Nicht wenige von
uns sind in der FAU organisiert und beteiligen sich dort auch an
internen Diskursen. Wir sehen unseren Ansatz und den des Anarchosyndikalismus
nicht als Gegensätze sondern als gegenseitige Ergänzung und natürliche
Geschwister.
Diese Einschätzung führt uns auch dazu die
Variante des Plattformismus abzulehnen, die Frederik Fuß vertritt. Der daraus
resultierende Vorwurf an uns ist ja der, wir seien nicht plattformistisch
genug, bzw. synthethische Anarchist*innen im Plattformkostüm. Sie beinhaltet,
auf Passagen der historischen
Plattform von 1926 aufbauend, einen Alleinvertretungsanspruch und
den Versuch eine Definitionsmacht über die anarchistische Bewegung zu erlangen.
Das halten wir aus guten Gründen, die in unserem Text nachzulesen sind, weder
für umsetzbar noch für wünschenswert. Ähnlich halten es auch viele
gegenwärtige, plattformistische Organisationen, die ebenfalls keine
„anarchistische Monokultur“ durchsetzen wollen. Dies bedeutet jedoch nicht,
dass wir – wie Fuß unterstellt – einen synthetischen Organisationsansatz haben.
Unsere Organisation begründet sich auf der Einheit von Theorie&Praxis,
Zielen&Strategien. Dies gilt für alle Mitgliedsgruppen und Mitglieder der
plattform. Dieser Organisationsansatz sowie eine vielfältige, durchdachte und
gesellschaftlich wirksame anarchistische Bewegung schließen sich nicht aus.
Daher widersprechen wir auch entschieden seinem
Vorschlag, in die FAU zu gehen, um zu versuchen, sie zu einer Organisation
nach plattformistischen Grundsätzen umzubauen. Ebenso wie wir der Einschätzung
widersprechen, »mit der FAU ist bereits eine Organisation in Deutschland
vorhanden, die einige Anforderung der Idee des Plattformismus erfüllt«.
Die FAU hat mit ihren “Prinzipien und Grundlagen” von 2015 zwar eine
sehr allgemein und kurz gehaltene theoretische Grundlage. Allerdings gibt es
bei den einzelnen FAU-Syndikaten weder ein einheitliches Verständnis
praktischer Aktivität, noch ein gemeinsames Verständnis von Strategien, um ihre
Ziele zu erreichen (lässt man den Generalstreik mal außen vor).
Die FAU als anarchosyndikalistische
Gewerkschaft hat einen klaren und richtigen gegenwärtigen Schwerpunkt im
syndikalistischen Arbeitskampf auf anarchistischer Grundlage – der von Fuß
geforderte strikte Anarchosyndikalismus der FAU (unter
Berücksichtigung ihrer aktuellen Möglichkeiten) wird unserer Meinung nach
erfüllt. Wir als plattformistische Ideenorganisation müssen uns nicht
hauptsächlich auf Arbeitskämpfe beziehen, sondern können uns auch bei anderen
gesellschaftlichen Kämpfen der lohnabhäniggen Klasse einbringen –
kontinuierlich und als Hauptschwerpunkt unserer Organisation. Wir haben somit
in der gegenwärtigen Situation einen breiter gefassten politischen Spielraum.
Um wieder auf Fuß Argumentation zurück zu
kommen: Der Plattformismus hat sich nunmal seit seinem Gründungspapier vor bald
100 Jahren weiterentwickelt. Im Rückgriff auf seine lateinamerikanische
Ausprägung, den Especifismo, müssen wir Fuß noch weiter enttäuschen: Wir wollen
ja nicht nur mit Syndikalist*innen und synthetischen Anarchist*innen auf der
praktischen Ebene zusammenarbeiten. Wir wollen rein in die Kräfteverhältnisse
und sozialen Kämpfe – sprich: Wir werden, wo immer uns das strategisch gegeben
erscheint, freudig mit Menschen zusammenarbeiten, die sich nicht mal als
Anarchist*innen verstehen. Wer aus einem Anspruch plattformistischer
Überlegenheit heraus allein schon in praktischer Kooperation die Synthese auf
dem nächsten Level sieht, wird daran wohl ver-tsweyfl-n müssen. Wir dagegen
sehen darin einen sinnigen Weg des Anarchismus aus Subkultur und Szene zurück
in die politische Bedeutsamkeit zu holen.
Natürlich würde es uns freuen, wenn sich FAU oder
auch FdA in Zukunft manche unserer Ansätze zu eigen machen würden. Aber wenn
das einmal passiert, dann auf der Basis der Freiwilligkeit, der Einsicht in
ihre Richtigkeit und nicht durch inneranarchistische Konfrontation und Verdrängung.
Diese Strategie würde, selbst wenn sie erfolgsversprechend wäre – was sie
absolut nicht ist – nur die Bewegung als Ganzes schwächen und entzweien.
Wir sind aber angetreten die anarchistische
Bewegung zu stärken. Damit wir uns dafür entsprechend unserem aus Plattformismus
und Especifismo abgeleiteten Ansatz effektiv aufstellen können, brauchen wir
eine eigene Organisation. Das gilt auch für die – niemals ganz abgeschlossene –
Entwicklung einer konsistenten, theoretischen Grundlage, einer verbindlichen
Struktur, die eben nicht beliebig ist, und einer effektiven Praxis. „Fight
where you stand“ ist dafür sicher ein wichtiger Grundsatz – nicht nur bezogen
auf Arbeits-, sondern auch auf Mietenkämpfe, sozialrevolutionäre Wendungen von
Identitätspolitiken oder Ökologie – aber nicht der einzige. Eine veränderte
Wahrnehmung des Anarchismus muss auch nicht vor allem in einer „Szene“
durchgesetzt werden, sondern in der gesellschaftlichen Öffentlichkeit. Ob das
gelingen kann, wird sich in der Praxis erweisen sowie in deren Vermittlung.
Auch anderen Argumenten müssen wir Absagen
erteilen.
Etwa die aus der Luft gegriffene Vermutung
unsere Auffassung vom Nationalsozialismus sei an die verkürzte
Faschismustheorie des Stalinisten Dimitroff angelehnt, nach der der Faschismus
quasi nur eine Marionette bzw. besonders „konsequente“ Ausprägung“ des
Finanzkapitals darstellt.
Auch hier müssen wir vielleicht noch einmal etwas klarstellen. Wenn wir davon sprechen, dass „der Faschismus als Ausweg des Kapitals in zugespitzten Krisenzeiten“ dienen kann, heißt das nicht platt „hinter dem Faschismus steht das Kapital“. Stattdessen bezeichnet dies den einfachen Fakt, dass Faschismus und Kapital in der Vergangenheit immer wieder gute Bündnispartner abgegeben haben und die nationalistisch wie kapitalistisch geprägte Konkurrenzgesellschaft leider gute Vorraussetzung für das Abrutschen in die faschistische Barbarei bietet. Das gilt auch für den aktuellen Rechtsruck, etwa für die Förderung der AfD durch Fraktionen aus der Wirtschaft.
Auch hier müssen wir vielleicht noch einmal etwas klarstellen. Wenn wir davon sprechen, dass „der Faschismus als Ausweg des Kapitals in zugespitzten Krisenzeiten“ dienen kann, heißt das nicht platt „hinter dem Faschismus steht das Kapital“. Stattdessen bezeichnet dies den einfachen Fakt, dass Faschismus und Kapital in der Vergangenheit immer wieder gute Bündnispartner abgegeben haben und die nationalistisch wie kapitalistisch geprägte Konkurrenzgesellschaft leider gute Vorraussetzung für das Abrutschen in die faschistische Barbarei bietet. Das gilt auch für den aktuellen Rechtsruck, etwa für die Förderung der AfD durch Fraktionen aus der Wirtschaft.
Um das erkennen zu können müssen nicht
unterschiedliche Phänomene in eins gesetzt werden. Auch wenn es uns um
Faschismus allgemein ging: Die praktischen Bemühungen von
Nationalsozialist*innen einer „negative Aufhebung des Kapitalverhältnisses“
waren im Vergleich zum Ausmaß ihrer praktischen Kollaboration mit
Kapitalfraktionen großteils ideologischer Natur. Das große Gewicht auf
völkisch-rassistische und eliminatorisch antisemitische Inhalte ist in der Tat
ein wichtiges Distinktionsmerkmal des Nationalsozialismus im Vergleich zu
vielen kapitalistischen Akteur*innen, und auch anderen faschistischen
Bewegungen. Doch auch wenn kapitalistische Interessen im Nationalsozialismus
teilweise und vor allem gegen Ende zugunsten unmittelbarerer Herrschafts- und
Gewaltverhältnisse frustriert wurden, hatte auch das völkische Element
historisch die Funktion Klassenantagonismen zu befrieden, abzuschwächen und sie
aufzuheben und nicht ihre Ursache. Der Nationalsozialismus entfesselte den
Klassenkampf von oben, ersetzte teilweise die Lohnarbeit wieder durch offene
Sklaverei, nicht zu vergessen die barbarische, absolut entmenschlichende
Zwangsarbeit in den Arbeits- und Konzentrationslagern, welche bis heute
deutschen Unternehmen in der Weltmarktkonkurrenz den nötigen Vorteil bringt.
Genausowenig reduzieren wir keineswegs alle
Migrant*innen auf Muslim*innen – es bleibt aber wichtig festzustellen, dass
letztere für Teile der heutigen Rechten zu einem primären Feindbild geworden
sind, die wiederum diese Reduktion durchaus vornimmt. Nicht nur auf Grund von
„Neid und Bewunderung“, wie Fuß behauptet, sondern vor allem auch auf der
Grundlage von antimuslimischem Rassismus, „Barbarendiskursen“ und einem
Selbstverständnis als Gatekeeper einer christlich-abendländischen Hegemonie.
Dass rassistische Einstellungen in der
Gesellschaft mit stärkerem Kontakt zu den Menschen, auf die sie sich beziehen,
statistisch gesehen abnehmen, ist ganz gut belegt, ebenso wie strukturelle
Unterschiede in urbanen und ländlichen Räumen. Von dem unterstellten
Automatismus war bei uns ja auch keine Rede. Den Anreiz uns mit
„Identitätsdiffusion“ als Grundlage rechter Einstellungen auseinander zu
setzen, nehmen wir aber gerne auf.
Schade ist auch, dass Fuß uns vorwirft nicht
konkret genug zu sein, etwa beim Anarchismusbegriff nur Plattitüden
abzusondern, selbst aber oft in einer Wolke aus ebensolchen herumhantiert – nur
mehr von akademischem Jargon geprägt. Das macht aber die fehlende
Konkretisierungen der Kritik nicht wett. Dabei wäre es für uns gerade spannend
gewesen zu erfahren, was genau er da noch vermisst oder vorschlägt. Anstatt
selbst Antworten zu formulieren, verbleibt er leider oft in der reinen
Negativität – was legitim ist, aber eben auch deutlich unspannender.
Im Gegensatz zum Autor halten wir die
anarchistische Bewegung nicht für irrelevant. Sonst würden wir uns auch kaum in
dem Maß in sie einbringen wollen. Im Gegenteil: Spätestens nach dem Niedergang
des Realsozialismus sind einige anarchistische Inhalte in linken
Basisbewegungen hegemonial geworden. Genauso greift in den sozialen Bewegungen
zunehmend die Einsicht, dass sich Unterdrückungsverhältnisse gegenseitig
stützen und intersektionell verwoben sind – der Anarchismus mit seiner
erklärten Gegnerschaft nicht zu einer, sondern zu allen Formen der Herrschaft,
bietet hier eine theoretische Grundlage an, auf der verschiedenste soziale
Bewegungen zusammenfinden könnten. Leider hat es der organisierte Anarchismus
aufgrund der von uns aufgezeigten Schwächen bisher nicht geschafft dieses große
Potential zu nutzen. Wie haben „die plattform“ gegründet um dies zu ändern.
Trotz alledem nochmal – danke für die
32-seitige Broschüre – die unter anderem auch auf unseren Text Bezug nimmt. Wir
haben sie teils durchaus mit großem Gewinn gelesen und freuen uns auch sehr
darüber, dass wir die Diskussion um anarchistische Organisierung weiter
befeuern konnten.