Die Crux mit den autonomen Zentren

 Redaktion Tsveyfl

Von der autonomen Bewegung der 80er und 90er Jahre hat die antiautoritäre Linke in Deutschland ein Netzwerk von autonomen Zentren, Wohnprojekten und selbstverwalteten Jugendzentren geerbt, oft aus ehemaligen Besetzungen. Dieses Netz aus Infrastruktur wäre auf den ersten Blick eine hervorragende Basis gewesen, von der aus die nächste Generation die sozialrevolutionäre Veränderung der Gesellschaft hätte anstoßen können. Die Realität sieht anders aus. Seit zwanzig Jahren stagnieren antiautoritäre Bewegungen in diesen Zentren herum. Das wirft die Frage auf: wie sollten sich klassenkämpferische Anarchist*innen zu diesen Orten verhalten?

In diesen Zentren gibt es meist keine gefestigte basisdemokratische Struktur, da man Satzungen und Mandate, sowie die damit einhergehende Rechenschaftspflicht und Abwählbarkeit, für Teufelszeug hält. Kontrolliert werden diese Zentren stattdessen von Cliquen und Rackets, die sich rund um charismatische Persönlichkeiten bilden. Das Vorbild für die sozialen Beziehungen in und um die Zentren liefert nicht die befreite Gesellschaft, sondern der Schulhof. Häufig gibt es mehr als eine Clique, dann kommt es zu Kämpfen um die Hegemonie im Zentrum, die zum Teil in heftiger Gewalt eskalieren.

So etwas scheint vor kurzem in Freiburg passiert zu sein. Eine alteingesessene Clique wurde aus der KTS vertrieben. Die alte Clique berichtet auf ihrem Blog von heftiger, einem Polizeiangriff gleichender Gewalt. Die neue Clique schreibt, dass die alte Clique lügt. Beide Cliquen werfen sich gegenseitig Sexismus vor. Die neue Clique verkündet eine neue Ordnung im sozialen Zentrum, die vieles besser machen soll. Die neue, junge Ordnung soll auf einem erweiterten Begriff von Definitionsmacht aufbauen, der diese mit Privilegientheorie verknüpft. Das sollte stutzig machen. Daran ist nichts neu, das ist ein Schritt zurück um mindestens 15 Jahre. Als wäre die katastrophale Wirkung dieser Konzepte nicht schon oft durchgespielt, als hätte es Les Madleines, e*vibes, und Beißreflexe nicht gegeben. Auch wir selbst haben einiges zu den Abgründen des Moralismus veröffentlicht. In den autonomen Zentren wiederholt sich immer wieder der selbe Konflikt, wie eine gesprungene Platte.

Den Ausgangspunkt bilden Konzepte zum Umgang mit der in der Szene verbreiteten sexualisierten Gewalt. Sexualisierte Gewalt ist oft traumatisierend und lässt die Betroffenen mit Gefühlen der Scham, Schuld und Hilflosigkeit zurück. Sie kann posttraumatische Belastungstörungen auslösen, bei denen bestimmte Personen und Ereignisse die Betroffenen wieder in die Gefühlswelt während der Tat zurückwerfen. Das macht es schwierig, die Täter*in oder die Umstände der Tat zur konfrontieren. Häufig ziehen sich Betroffene aus ihrem sozialen Umfeld zurück. Dadurch funktioniert sexualisierte Gewalt als Waffe im Patriarchat.

In der radikalen Linken haben sich einige Konzepte etabliert, die helfen sollen, mit diesen Effekten umzugehen. Schilderungen und Medien, die für Betroffene als Trigger wirken können, werden mit Triggerwarnungen versehen. Wenn Betroffene den Mut fassen, erlebte sexualisierte Gewalt zu schildern, gilt der Grundsatz, ihnen zuzuhören und die Schilderung nicht in Frage zu stellen. Das Konzept der Definitionsmacht besagt, dass eine sexuelle Interaktion als Gewalt behandelt wird, wenn eine der beteiligten Personen sie als Gewalt erlebt hat. Es muss nicht wie vor Gericht erst irgendwie bewiesen werden, dass Gewalt passiert ist. Es ist nicht unsere Absicht diese Konzepte zu kritisieren. Die Frage, ob diese Konzepte ausreichen und wie gut sie für ihren ursprünglichen Zweck funktionieren, ist nicht Gegenstand dieses Textes.

Durchaus zu kritisieren ist allerdings die Reaktion eines großen Teils der radikalen Linken auf die Einführung dieser Konzepte. Insbesondere des Teils, der viel in den benannten Zentren rumhängt und sich mit der eigenen Identität beschäftigt. Die Reaktion lässt sich wie folgt beschreiben: „Und was ist mit mir? Meine Probleme sind auch wichtig! Warum sollten Menschen mit PTSD alle Aufmerksamkeit bekommen? Wenn mich etwas stört, dann sollte es auch als Trigger behandelt werden! Wenn jemand gemein zu mir war, dann fordere ich als Betroffene*r behandelt zu werden, deren Schilderung nicht infrage gestellt werden kann! Und ich fordere Definitions- und Sanktionsmacht wenn ich mich nicht wohl fühle!“

Diese Reaktionen prägen Szenezusammenhänge seit mehr als einem Jahrzehnt. Alles mögliche kriegt eine Triggerwarnung. Kleine Streitereien werden zu jahrelangen Dramen, weil sich beide Parteien als Betroffene empfinden, deren Perspektive nicht infrage gestellt werden darf. Und allerorten fordert man Definitionsmacht wegen allem möglichen, von Pöbeleien auf Facebook bis zu schiefen Blicken beim Plenum. Alle spielen mit und finden sich Achtsam, dabei handelt es sich bei dieser Praxis um eine systematische Relativierung sexualisierter Gewalt.

So richtig Dynamik kommt allerdings erst in die Sache, wenn ein physischer Raum in Form eines Zentrums oder eines Camps geteilt wird. Dann schlagen die psychologischen Effekte voll ein. Wenn alle sich kollektiv so benehmen, als seien Alltagskonflikte in ähnlicher Weise traumatisierend wie sexualisierte Gewalt, beginnt es sich wirklich so anzufühlen. Man begibt sich in einen Zustand kollektiver Angststörung und erlernter Hilflosigkeit. In dem Zustand ist man dann nicht mehr in der Lage, normal mit Menschen zu reden oder seine Interessen auf zivile Weise durchzusetzen. Aus diesem Hilflosigkeitsgefühl erscheint dann heftige Gewalt wegen objektiver Kleinigkeiten legitim.

Die Gewalteskalationen richten sich häufig gegen Personen, die in den sozialen Zusammenhang nicht fest integriert sind. Oft Besucher des Ortes oder diejenigen, die diese Dogmatik in Frage stellen. Diese werden als Gefahr markiert, die es zu bekämpfen gilt. Das geschieht im Namen der Sicherheit. Sicherheit soll hergestellt werden, in dem sich alle im Raum dieser Dogmatik unterwerfen. Bei Konflikten zwischen den Cliquen in einem Zentrum werden solche Eskalationen häufig von den dominierenden charismatischen Persönlichkeiten gegen ihre Konkurrent*innen gelenkt.

Das ist keine abstrakte Beschreibung, diese Dynamik konnte man über Jahre in einigen autonomen Zentren in Westdeutschland immer wieder erleben. Oft stellte sich später heraus, dass es im sozialen Umfeld der Zentren tatsächlich sexualisierte Gewalt gab, zum Teil auch in den Zentren selbst. Täter waren allerdings meist nicht die als Gefahr markierten Außenstehenden, sondern Personen aus dem inneren Kreis der Cliquen, die die Sprache von Privilegien und Achtsamkeit fließend sprechen. Geschützt durch das moralische Kapital, dass sie aus der öffentlichen Reflexion ihrer Privilegien, ihrem Veganismus und ihrem Einsatz für den Schutzraum zogen, konnten einzelne charismatische Täter Serien von Vergewaltigungen begehen.

Wenn die identitätspolitische und moralistische Linke ihre autonomen Zentren als Schutzraum gegen eine böse Außenwelt konstruiert, ist da also eine ganze Menge Projektion im Spiel. Die moralistische Linke wird ihre Probleme mit sexualisierter Gewalt nicht in den Griff kriegen, so lange sie nicht ihre Lebenslügen konfrontiert. Dass der Zusammenhang von Moral, Macht und Missbrauch in autonomen Zentren genau so funktioniert wie in der katholischen Kirche. Dass an einer Organisation nach Art von Schulhofcliquen nichts antiautoritär ist. Dass es vielleicht keine gute Idee ist, erst vulnerable Jugendliche mit Versprechen subkultureller Zugehörigkeit anzulocken und sie dann mit am Leben gescheiterten Männern um die 40 alleine zu lassen. Dass sich Täter nur wirklich ausschließen lassen, wenn man auch Strukturen hat, die über Zugehörigkeit entscheiden und von allen als demokratisch legitimiert akzeptiert werden.

Wie sollen wir uns nun als klassenkämpferische Anarchist*innen zu diesen Zentren, ihren sich immer nach dem gleichen Schema wiederholenden Konflikten und den zugrunde liegenden verdrängten Problemen verhalten? Sicher, wenn wir mitkriegen, dass es zu Missbrauch kommt, müssen wir eingreifen. Aber sollten wir versuchen auch sonst in diese Zentren hineinzuwirken, ihnen vielleicht eine neue Struktur zu geben? Wir glauben nein. Die Auseinandersetzung mit der hegemonialen Clique in einem autonomen Zentrum gleicht einem Ringkampf auf einer Müllhalde. Sie ist lang, verbraucht viel Kraft, man kann in der Zeit nicht sinnvoll politisch arbeiten und es besteht ernsthaft die Gefahr, verletzt zu werden. Und selbst wenn man gewinnt: dann ist man auch nur der Idiot, der sich Ringkämpfe auf Müllhalden liefert. Und man ist danach von oben bis unten  vollgeschmiert, so dass kein normaler Mensch mehr mit einem reden möchte.

Wir brauchen unsere eigenen Workers Center, die nicht nur der subkulturellen Entfaltung dienen, sondern die Arbeiter*innenklasse im Alltag und im Klassenkampf unterstützen. Statt Soliraves und Backstageräumen, in denen Szenetypen mit minderjährigen Ketamin und Pepp ziehen,(1) brauchen wir Sprachkurse, Tauschbörsen und gewerkschaftliche Beratung. Diese Workers Center müssen nicht unbedingt Besetzungen sein, Mieten oder organisierte Käufe nach Art des Mietshaussyndikates sind erstrebenswerter. Sie sollten an Organisationen mit definierter Struktur wie der Plattform oder der FAU angeschlossen sein. Sie sollten Satzungen mit definierten Mandaten, definierter Rechenschaftspflicht und Möglichkeiten der Abwahl haben. Und sie brauchen klare Regeln gegen Diskriminierungen und Verfahrensweisen zum Umgang mit Tätern in den eigenen Reihen.
Dann wären sie vielleicht das Sprungbrett zur sozialen Veränderung, das autonome Zentren nie gewesen sind.

 

 (1) Dies geschieht natürlich stets achtsam und privilegienreflektiert.